ZVI 2024, 197

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher-, Privat- und Nachlassinsolvenz ZVI 2024 EditorialFrank Lackmann

Was tun mit den (ehemaligen) Selbstständigen in Beratung und Insolvenzverfahren?

Aktuell steht die Evaluation des Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften (…) gem. § 107a EGInsO an. U. a. wurde die Laufzeit bis zu einer Restschuldbefreiung von drei Jahren nach den Vorgaben der Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments durch das o. g. Gesetz eingeführt. Die Verkürzung gilt sowohl im Regel- als auch im Verbraucherinsolvenzverfahren. Zur Geltung im Verbraucherinsolvenzverfahren erstattet die Bundesregierung gem. Art. 107a EGInsO dem Bundestag zum 30. 6. 2024 Bericht, wie sich die Verkürzung auf das Antrags-, Zahlungs- und Wirtschaftsverhalten von Verbrauchern ausgewirkt hat. Die Verbände sind zur Stellungnahme aufgerufen. Es lässt sich aus Sicht der Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen festhalten, dass sich die Verkürzung der Restschuldbefreiungsdauer aus Sicht der Praxis der Schuldnerberatung nicht negativ auf das Antrags-, Zahlungs- und Wirtschaftsverhalten ausgewirkt hat. Daher sollte die Regelung bzgl. der dreijährigen Abtretungsfrist beibehalten werden.
Evaluationen bieten aber zudem die Gelegenheit, sich weitergehend mit Fragestellungen zu beschäftigen, wie die Insolvenzordnung reformiert bzw. verbessert werden kann. Einige wichtige und richtige Vorschläge hat bereits die Arbeitsgruppe Reform der Verbraucherinsolvenz (abgedruckt in ZVI 2023, 341) unterbreitet.
Seit 2014 besteht im Verbraucherinsolvenzverfahren die Möglichkeit, dass sich Schuldner*innen von einer geeigneten Stelle i. S. d. § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO im gerichtlichen Insolvenzverfahren vor dem Insolvenzgericht vertreten lassen können, § 305 Abs. 4 Satz 1 InsO. Die Regelung ist sinnvoll und wird in der Praxis auch vielfach praktiziert, wobei es richtig ist, dass sich hieraus keine Verpflichtung der anerkannten Schuldnerberatungsstellen zur Übernahme der gerichtlichen Vertretung ableiten lässt. Die Übernahme der gerichtlichen Vertretung scheitert in vielen Fällen leider an einer fehlenden Finanzierungsgrundlage für die Beratungsstellen (vgl. auch Lackmann, in: FK-InsO, 10. Aufl., 2023, § 305 Rz. 74 f.).
Die gerichtliche Vertretungsbefugnis der gem. § 305 Abs. 4 Satz 1 InsO als geeignet anerkannten Stellen sollte dennoch auf alle natürlichen Personen ausgeweitet werden.
ZVI 2024, 198
Die aktuelle gesetzliche Regelung beschränkt sich auf die Vertretung in Verbraucherinsolvenzverfahren, deckt damit aber kaum den Beratungsbedarf von Freiberuflern, Solo- und Kleinstselbstständigen ab. Bislang können nur ehemals Selbstständige in Verbraucherinsolvenzverfahren vertreten werden, die weniger als 20 Gläubiger haben und gegen die keine Forderungen aus Arbeitnehmerverhältnissen bestehen (§ 304 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 304 Abs. 2 InsO). Damit entscheidet eine rein zufällige Abgrenzung (mehr als 19 Gläubiger) über die Möglichkeit der Vertretung von Selbstständigen gem. § 305 Abs. 4 Satz 1 InsO, ohne dass ein weiterer Unterschied zur Vertretung von Verbraucher*innen bestünde. Es stellt sich auch angesichts der aus der Verbraucherkreditrichtlinie und der hieraus vorgegebenen Verpflichtung der Mitgliedstaaten, den Verbraucherinnen und Verbrauchern den Zugang zu Schuldnerberatungsdiensten zu ermöglichen, generell die Frage, ob hier der Verbraucherbegriff, der europarechtlich nicht zwingend der Verbraucherdefinition des § 13 BGB entspricht, noch als richtiges Abgrenzungskriterium zwischen IK- und IN-Verfahren geeignet ist. Aufgrund der häufigen Mischformen sind hier ebenfalls sowohl die Einkommensart als auch die Art, der Umfang oder der Ursprung der Verbindlichkeiten als praktikable Abgrenzungskriterien ungeeignet. Trennscharf hingegen wäre es, die Abgrenzung danach vorzunehmen, ob es sich bei dem Betroffenen um eine natürliche oder um eine juristische Person handelt.
Es hat sich insbesondere seit der Corona-Pandemie gezeigt, dass viele Freiberufler, Solo- und Kleinstselbstständige aus finanziellen Gründen keinen Zugang zu einer anwaltlichen Vertretung und Unterstützung im Regelinsolvenzverfahren haben. In solchen Fällen wäre aber eine gerichtliche Vertretung und Begleitung durch eine soziale Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle erforderlich, um den erfolgreichen Abschluss des Regelinsolvenzverfahrens sicherzustellen.
Erforderlich wäre eine Vertretungsbefugnis auch und insbesondere für die Betroffenen, die durch einen Fremdantrag mit dem Regelinsolvenzverfahren konfrontiert sind. Von vielen dieser Betroffenen wird ein solcher Antrag trotz einer sich schon über einen längeren Zeitraum hinziehenden Krise als sehr überraschend wahrgenommen und unterscheidet sich damit von einer geplanten Einleitung eines Insolvenzverfahrens. Die Auswirkungen, Anforderungen und Herausforderungen, die hiermit verbunden sind, führen dabei trotz umfangreicher Belehrungen der Gerichte nicht selten zu einer gänzlichen Überforderung, welche sich nicht nur auf die unmittelbar mit dem Insolvenzverfahren im Zusammenhang stehenden juristischen Problematiken, sondern auch auf die Existenzsicherung für die Betroffenen und deren Angehörige erstreckt. Hier ist ein umfangreiches Hilfekonzept gefragt, das nicht nur dafür Sorge trägt, dass die Betroffenen die existenzielle Schieflage überwinden, sondern auch, dass die Altlasten durch das Regelinsolvenzverfahren und der damit einhergehenden angestrebten Restschuldbefreiung erfolgreich erledigt werden und letzten Endes die volkswirtschaftlich gewünschte Wiedereingliederung in den Wirtschaftskreislauf nachhaltig gelingt. Für diese Hilfestellung und Verfahrensbegleitung sind die geeigneten Stellen prädestiniert.
Tatsächlich werden einige wenige geeigneten Stellen, welche sich dem ansonsten gerne vergessenen Klientel der Kleinst- und Soloselbstständigen annehmen, bereits in ständiger Übung von einzelnen umsichtigen Gerichten als Verfahrensbevollmächtigte bestimmt. Diese Praxis – auch wenn sie bislang nicht auf einer eindeutigen Rechtsgrundlage basiert und daher zu Unsicherheiten bei allen Beteiligten führt –, bringt nicht nur eine Arbeitserleichterung bei den Gerichten mit sich und wird auch von den in den oft massearmen oder masselosen Regelinsolvenzverfahren bestellten Insolvenzverwaltern begrüßt.
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Es wäre daher erforderlich, die Möglichkeit einer gerichtlichen Vertretungsbefugnis der als geeignet anerkannten Stellen auf alle natürlichen Personen auszuweiten. Allerdings wäre es auch hier in Ermanglung einer Finanzierungsgrundlage zwingend erforderlich, von einer Verpflichtung der geeigneten Stellen zur Übernahme der gerichtlichen Vertretung abzusehen.
Es wäre aber dringend notwendig, dass sich über die Finanzierung der gerichtlichen Vertretungsbefugnis für alle natürlichen Personen Gedanken gemacht wird. Zum einen ist somit der vom Gesetzgeber gewollte „fresh start“ der Schuldner*innen besser zu erreichen, da zum Teil unnötige Versagungen von Restschuldbefreiung vermieden werden können. Zum anderen ermöglicht man den (ehemals) Selbstständigen einen Zugang zu qualifizierter Beratung und würde damit die Chancen erhöhen, dass auch dieser Personenkreis am Ende nicht in die Schattenwirtschaft abgedrängt wird, sondern auch zukünftig ein wichtiger Bestandteil der Wirtschaftsleitung in diesem Lande bleibt.
Der Schritt in die Selbstständigkeit ist denkbar einfach, wird öffentlich gefördert und von den Betroffenen als Inhaber eines Startup-Unternehmens, als Entrepreneur, Gründer oder gar als vermeintlicher CEO gerne blauäugig glorifiziert. Man erinnere sich nur an die sogenannten „Ich-AGs“. Eine verpflichtende Gründungsberatung oder gar ein „Gewerbeführerschein“ ist nicht erforderlich – vielmehr sind es jedoch nicht selten Menschen, die nicht die erforderlichen Wissensressourcen mitbringen, die aus der Not heraus, da ihnen der Weg in den normalen Arbeitsmarkt abgeschnitten ist, oder in Branchen die traditionell z. B. im künstlerischen Bereich unabhängig arbeiten, welche ihren Erfolg in der Selbstständigkeit suchen. Die Krisen der letzten Zeit haben gezeigt, wie fragil diese Klientel auf Störungen reagiert. Daher wäre es zudem als Zeichen von gesellschaftlicher Verantwortung angebracht, die Betroffenen auch im Rahmen einer Exit-Strategie zu unterstützen und ihnen eine qualifizierte Begleitung bzw. Vertretung im Regelinsolvenzverfahren an die Hand zu geben. Wie immer bleibt festzuhalten, es gibt noch viel zu tun.
Rechtsanwalt Frank Lackmann, Bremen und Dipl. Jur. Univ. Marc Wichlajew, München

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