ZVI 2024, 233

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher-, Privat- und Nachlassinsolvenz ZVI 2024 Report 

Stellungnahme des BAKinso e. V.: Evaluation des Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht (Art. 107a EGInsO)

Der Gesetzgeber hat eine Evaluation des Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3328) vorgesehen. Nach Artikel 107a Abs. 1 EGInsO hat die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag bis zum 30. Juni 2024 zu berichten, ob und ggf. wie sich die Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens auf das Antrags-, Zahlungs- und Wirtschaftsverhalten von Verbraucherinnen und Verbrauchern ausgewirkt hat. Zudem soll auf etwaige Hindernisse eingegangen werden, die von der Praxis der Speicherung insolvenzbezogener Daten durch Auskunfteien für den durch die Restschuldbefreiung (folgend RSB) ermöglichten wirtschaftlichen Neuanfang ausgehen.
In diesem Kontext fragt das BMJ die insolvenzrechtlichen Verbände nach praxisgestützten Einschätzungen zu den vorgesehenen Evaluationsthemen und ihrem Umfeld.

I. Anstieg der Antragswiederkehrer*innen mit Nichtbeachtung der gesetzlich vorgesehenen Angaben zum  insolvenzrechtlichen „Vorleben“

1. Die Verkürzung der Erteilungszeit der RSB auf drei Jahre hat zugleich eine Verlängerung der künftigen Sperrfrist zur Folge (§ 287a Abs. 2 Nr. 1 InsO). Die nunmehr geregelten elf Jahre sind derzeit, da RSB-Erteilungen aufgrund neuer Rechtslage, geschweige denn nach anschließendem Ablauf der nunmehr geregelten elf Jahre, nicht existieren, noch nicht virulent geworden.
Indes vermerkt die Praxis sowohl einen Anstieg der „Wiederkehrer-Anträge“ („Drehtür-Effekt“) mit vorheriger RSB-Erteilung nach Ablauf von 10 Jahren und in diesem Zusammenhang Missachtungen der Angabenotwendigkeit aus § 287 Abs. 1 Satz 3 und Satz 4 InsO im RSB-Antrag (diese nunmehr im Verbraucherbereich gem. VbrInsFV geregelt in Hauptblatt S. 1 unter II.2).
Eine statistische Erfassung der „Wiederkehrer-Anträge“ ist im Insolvenzstatistikgesetz nicht vorgesehen. Dies sollte im Zuge einer Reform dringend erweiternd verankert werden.1 Die Evaluation soll prüfen, ob die Verkürzung des RSB-Erteilungszeitraums zu „mehr Schulden machen anregt“.2 Dies könnte schon während der noch laufenden Sperrfristphase bei Ersterteilung der Fall sein, sofern statistisch die Anzahl der „Drehtür“-Anträge deutlich gestiegen ist.
2. Die Falschangabe nach § 287 Abs. 1 Satz 3 und 4 InsO zum „insolvenzrechtlichen Vorleben“ des Schuldners (anzugeben im Restschuldbefreiungsantrag ist, ob in der Vergangenheit ein solcher Antrag schon einmal gestellt wurde oder ggf. weshalb (dabei wurde die Angabe der Versagung nach § 298 InsO „vergessen“ im amtlichen Vordruck) RSB versagt worden war) und den möglichen Sperrfristgründen des § 287a InsO ist nunmehr ausdrücklich auch ein Versagungsgrund im Regel- wie auch im Verbraucherinsolvenzverfahren – gem. § 290 Abs. 1 Nr. 6 Alt. 1 InsO. Macht der Schuldner hierzu mangelnde oder unterlassende Falschangaben, ist ein solcher Versagungsgrund wegen des „zweifelsfreien“ Vorliegens zuweilen bereits bei der Stundungsgewährung im Wege der fortgeltenden „Vorwirkungsrechtsprechung“ des BGH zu berücksichtigen, wenn das Gericht durch eigene Kenntnis der Vorakte die falsche Angabe feststellen konnte (bei den meisten Insolvenzgerichten wird amtswegig ein vorhandenes „Vorstück“ mit vorgelegt).
Das Unterlassen der Angabe eines früheren Insolvenzverfahrens mit RSB-Antrag soll bereits dann grob fahrlässig sein, wenn ZVI 2024, 234ein ausgeprägt vergesslicher Schuldner (dem dies sogar ärztlich bescheinigt ist) sich vor erneuter Antragstellung nicht anhand Unterlagendurchsicht vergewissert, ob er in der Vergangenheit nicht doch schon einmal Insolvenzantrag mit RSB-Antrag gestellt hatte.3 Die Nichtmitteilung von früheren Restschuldbefreiungsanträgen entgegen § 287 Abs. 1 Satz 3 InsO ist RSB-Versagungsgrund nach § 290 Abs. 1 Nr. 6 (Alt. 1) InsO und kann im Wege der „Vorwirkungsrechtsprechung“ zur Stundungsablehnung führen, wovon gerichtsseitig durchaus Gebrauch gemacht wird.4 In der Regel handelt sich um „unheilbare“ Verstöße, da amtswegige Aufdeckung erfolgt ist, die auch zweifelsfrei feststehen.
Die Anzahl dieser Fälle hat deutlich zugenommen. Eine genaue prozentuale Schätzung ist mangels statistischer Erfassung indes nicht möglich. Zum Schutz der Länderhaushalte ist zu hinterfragen, ob solche Fälle sperrfristsanktioniert werden sollten (dazu II.), da ansonsten umgehend neuer Antrag gestellt und die entstandenen Gerichtskosten ins Gläubigerverzeichnis übertragen werden.

II. Erweiterung Sperrfristen (§ 287a InsO)

Mit diesem Thema befasst sich im Juni 2024 die Justizministerkonferenz auf Antrag von Niedersachsen.
1. Das Thema resultiert aus der fachwissenschaftlich insolvenzrechtlich bekannten Problematik, dass weder der Stundungsablehnungsbeschluss wegen Vorwirkung von Versagungsgründen, der nach Rechtskraft in der Regel zur Nichteröffnung führt, noch die Rücknahme im eröffneten Verfahren noch die Stundungsaufhebung wegen zweifelfreier Versagungsgründe im eröffneten Verfahren zu Sperrfristen nach Paragraph 287a InsO führen.5 Hinzu tritt, dass auch die Versagung der RSB nach § 298 InsO, die die häufigste Versagungsvariante darstellt,6 wie auch die Rücknahme des RSB-Antrages, um das Verfahren nach § 207 InsO beenden zu lassen, keine Sperrfristen nach sich zieht.
2. Der Gesetzgeber kannte das Problem bei der jüngsten Reform des RSB-Verfahrens zum 1. 10. 2020 bzw. mit Reform im Wege des „SanInsFoG“ zum 1. 1. 2021. Getan hat er nichts deswegen. Der Gesetzgeber hatte mit Einführung des § 287a InsO zum 1. 7. 2014 in Kenntnis der „Vorwirkungsrechtsprechung“ sich gegen eine Sperrfristerweiterung bei Stundungsablehnungs- oder -aufhebungsentscheidungen gewandt. Der BGH steht gesetzlich nicht geregelten Sperrfristen skeptisch gegenüber und kritisiert die mangelnde gesetzliche Regelung deutlich (so ausdrücklich BGH, Beschl. v. 4. 5. 2017 – IX ZB 92/16, ZVI 2017, 299 (m. Bespr. Möhring, S. 289 und m. Bespr. Thüning, S. 377) = ZInsO 2017, 1444 = NZI 2017, 627).
Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Verfahrenskostenstundungsmittel in jedem Bundesland erheblich sind, in NRW sollen laut kürzlicher Mitteilung des Leiters des Insolvenzgerichtes Köln, RiAG Dr. Laroche, auf dem Deutschen Insolvenzrechtstag 2024 jährlich 17 Mio. € dafür aufgewandt werden,7 und die Rückflüsse nach § 4b InsO – die ebenfalls statistisch bundesweit nicht erfasst werden – höchstens ca. 25 % insgesamt ausmachen. Die Verfahrenskostendeckung in den Verbraucherverfahren nimmt zudem seit einiger Zeit ab.8
Angemessen ist, dass die Stundungsanrechtsprüfung im Eröffnungsverfahren und Stundungsaufrechterhaltungsprüfung im eröffneten Verfahren von Amts wegen erfolgen und zunächst mit der RSB-Erteilungsfrage gar nichts zu tun haben, sondern im staatlichen Interesse der Begrenzung der Mittel aus der Staatskasse für sinnlose Entschuldungsverfahren erfolgen.9 Denn bei der Verfahrenskostenstundung geht es nicht um Herstellung des Zuganges des Schuldners „zum Verfahren als solchem“, sondern zur Restschuldbefreiung mittels staatlicher Mittel. Dies setzt eine hinreichende Zweckerreichungsprognose voraus.
Festzustellen ist, dass die bisherige Nichtregelung einer Sperrfristfolge bei Stundungsnichtgewährung oder -aufhebung wegen RSB-Versagungsgründen in der Praxis bekanntlich zu nahezu sofortigen Neuanträgen führt (im Verbraucherverfahren muss meist zunächst wieder der außergerichtliche Schuldenbereinigungsversuch erfolgen). Sofern bisherige Gerichts- und Stundungskosten anfielen in Vorverfahren, werden diese zu Insolvenzforderungen im dann eröffneten Verfahren. Teilweise erfolgen mehrere Anträge mit Stundungsablehnungen kurz hintereinander („Probieren ohne Sanktion“). Diese Praxis kostet Arbeitszeit und Gerichtskosten.
Und nicht nur das: Die mangelnde Sanktionierung führt zuweilen zu „schlampigen“ und wenig gut vorbereiteten Anträgen, wie aufgezeigt (I.), werden selbst frühere erteilte Restschuldbefreiungen „vergessen“ entgegen § 287 Abs. 1 Satz 3, 4 InsO im Antrag anzugeben. Auch Nichtmitwirkung im Verfahren, unangezeigter Wohnsitzwechsel etc. werden „nur“ mit Stundungsablehnung oder -nichtgewährung „sanktioniert“, haben aber keinerlei Folgewirkung. Gleiches gilt für die Nichtzahlung der Treuhändervergütung nach § 298 InsO, die dann zur RSB-Versagung auf Antrag des Treuhänders führt – wiederum ohne Sperrfristfolge10 für Wiederbeantragung.11
3. Daher ist für diese Verfahrensvarianten eine Erweiterung des § 287a Abs. 2 Nr. 2 InsO zu befürworten.12 Zu erwarten ist, dass dies zu besser vorbereiteten Anträgen und mehr Mitwirkung im Verfahren führt.
4. Hinsichtlich der RSB-Antragsrücknahme ist zu differenzieren: Die RSB-Antragsrücknahme zur Einbeziehung von Neu-ZVI 2024, 235gläubigern (nach Verfahrensende über § 207 InsO) wird als sinnvoll angesehen – und deshalb keine Sperrfrist befürwortet –, da erst so wirkliche Restschuldbefreiung erreicht werden kann.13
Anders hingegen die Rücknahme bei bereits eingegangenem RSB-Versagungsantrag, diese will eine Versagungsentscheidung mit nachfolgender Sperrfrist vermeiden. Diese Umgehung wird kritisiert. Der BGH hat nunmehr deswegen aber die Rücknahme des RSB-Antrages in allen denkbaren Anhörungskonstellationen (Schlusstermin, schriftliches Verfahren, gesonderter RSB-Erteilungsanhörungstermin), soweit der Versagungsantrag nach den diesbezüglichen Regeln bereits gestellt ist, als unzulässig und unwirksam angesehen (BGH v. 15. 7. 2021, ZVI 2021, 392 = ZRI 2021, 839 = ZInsO 2021, 2026). Auf die Kenntnis des Schuldners von dem gestellten Versagungsantrag kommt es nicht an (BGH v. 15. 7. 2021, ZVI 2021, 392 = ZRI 2021, 839 = ZInsO 2021, 2026, Rz. 14). Damit sind diese beiden Verfahrensvarianten „geklärt“. Regelungsbedarf wird nicht erkannt.

III. Wegfall des vorgerichtlichen obligatorischen Schuldenbereinigungsversuchs

Der Erfolg dieses Instrumentes ist strittig.14 Der Wegfall im Wege der Streichung des § 305 Abs. 1 Satz 1 InsO bei Verbleib einer Beratungspflicht wird zuweilen gefordert.15 Aber: Der obligatorische außergerichtliche Schuldenbereinigungsversuch hat das Anschreiben der Gläubiger zur Folge. Er führt daher zu einem antragsaktuellen (Adressen, Forderungsabtretungen, Verzichte) Gläubigerverzeichnis (Anl. 6 VbrInsFV – sanktioniert über § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO). Dessen Erstellung sollte beibehalten und durch eine entsprechende Beratungs- und Ermittlungspflicht der Schuldner*innenberatungsstellen sichergestellt werden, eines zu versendenden „Planes“ bedarf es dazu zwingend nicht.

IV. Änderungen zum gerichtlichen Schuldenbereinigungsversuch

Dieses Instrument des Verbraucherinsolvenzverfahrens (§§ 306 ff. InsO) wird derzeit mittels VbrInsFV obligatorischer Angabe der vorgerichtlichen „Abstimmung“ in Anl. 2 A i. V. m. § 305 Abs. 1 Nr. 4 InsO und obligatorischem Schuldenbereinigungsplan in Anl. 7 – 7C gem. VbrInsFV umgesetzt.
In der Regel wird in Anl. 2 A in Anbetracht mangelnder Kopf- und/oder Summenmehrheit „nicht aussichtsreich“ angekreuzt, d. h., das Gericht soll das Verfahren sogleich eröffnen.
Zur Straffung des Verfahrens sollte die derzeitige zwingende Vorlagepflicht eines gerichtlichen Schuldenbereinigungsplanes entfallen und daher § 305 Abs. 1 Nr. 4 InsO gestrichen werden, da das Verfahren wenig Gebrauchsanwendung erfährt, weil verteilungsfähige (Dritt-)Mittel für solche Pläne kaum noch vorhanden sind.16
Sofern ein erfolgversprechender Schuldenbereinigungsplan vorgelegt werden kann, sollten Schuldner*innen bei Gericht einen entsprechenden Antrag i. S. v. § 306 InsO stellen können, was gesetzlich geregelt werden sollte.17

V. Wegfall des Forderungsanmeldeverfahrens

1. Die Verkürzung des RSB-Erteilungszeit hat bisher nicht zu einer merklichen Veränderung des Verhältnisses der Verfahren mit und ohne Quotenausschüttung geführt. Es lässt sich zu Anfang eines Privatinsolvenzverfahrens (mit Ausnahme der Regelinsolvenzverfahren natürlicher Personen, in denen zunächst ein Sachverständigengutachten eingeholt wird, weil generierbare Masse nicht unwahrscheinlich erscheint oder noch selbstständige Tätigkeit besteht) kaum prognostizieren, ob nach Eröffnung Masse anfällt. Hinzuweisen ist hier auf die Möglichkeit, dass weder Insolvenzanfechtungsansprüche bestehen, noch Forderungen eingezogen werden können (Nachzahlungen aus Vertragsverhältnissen oder aus öffentlich-rechtlichen Ansprüchen (Steuern, Beihilfen, Krankenkassen, Versicherungen etc.)) oder Erbfälle eintreten.
2. Der teilweise propagierte Wegfall des Forderungsanmeldeverfahrens in angeblich „masselosen“ Verfahren18 verunmöglicht die Feststellung der Beteiligtenstellung bei Gläubigerbeteiligungen (Eingaben, Akteneinsicht, schriftliche Gläubigerversammlung, RSB-Versagungsanträge) und würde in vielen Verfahren zu einer nachträglichen „doch nun Ermöglichung der Anmeldung“ führen, die für die Gerichte arbeitsbelastend wäre, weil nunmehr nach zurückliegender Eröffnung und verstrichener Zeit das Verfahren „umgestellt“ werden müsste. Und: Im Falle der Massegenerierung erst während der Treuhandphase müsste das Forderungsanmeldungs-, -prüfungs- und -feststellungsverfahren nachgeholt werden – ein Bruch mit der Abgrenzung der zeitlichen Verfahrensbereiche. Hiervon ist dringend abzuraten.
3. Weiterhin verunmöglicht ein Absehen von Forderungsanmeldung die Anmeldung von Forderungen nach § 302 InsO, die keineswegs selten vorkommt.19 Solche Forderungen dahin ZVI 2024, 236zu „Verschieben“, dass die Gläubiger diese gerichtlich gesondert, ggf. noch dazu mittels einer besonderen Ausschlussfristregelung, geltend machen müssten, ist nicht nur gläubigerfeindlich, es würde die Gerichte auch wesentlich mehr belasten, weil nunmehr zwangsweise kontradiktorische Zivilgerichtsverfahren an die Stelle meist widerspruchsloser Forderungsfeststellungen treten würden. Dies würde auch die Schuldner in den jeweiligen Fällen mit einer Flut von Verfahren überziehen und ihnen gegenüber (weitere) Kosten erzeugen.

VI. Abschaffung § 304 InsO, Abschaffung unterschiedlicher RSB-Versagungskreise

Die Norm führt mit ihrer „gegriffenen“ Grenzziehung zwischen Regel- und Verbraucherinsolvenzverfahren (20 Gläubiger, Arbeitnehmerforderungen, fortbestehende „selbstständige“ Tätigkeit) immer wieder zu unnötigen Verfahrensübergangsnotwendigkeiten von einer Verfahrensart in die andere (flankiert und „befördert“ durch die länderhäufig nicht „erlaubte“ (weil nicht vergütete) Beratung von Selbstständigen und ehemals Selbstständigen durch die Schuldner*innenberatungen). Sie ist unsinnig, hat mannigfache Reibungsverluste zur Folge (bis hin zur ständigen Unzulässigkeit der Anträge beim Übergang vom IN-Verfahren ins IK-Verfahren wegen Nichterfüllung der VbrInsFV) und sollte in derzeitiger Form abgeschafft werden.
Es zeigt sich in der Praxis immer wieder, dass ehemals Selbstständige auch ohne gegen sie gerichtete Arbeitnehmerforderungen und mit wenigen Gläubigern häufig komplexere Verschuldungsfragen und Verfahrensprobleme aufwerfen als „reine Verbraucher“.
Daher bietet sich als Eingruppierungsregel an: Wer niemals selbstständig war, gehört ins Verbraucherinsolvenzverfahren, wer irgendwann einmal selbstständig war, ins Regelinsolvenzverfahren – bei zwingender (gesetzlich geregelter) Vorberatung beider Gruppen durch die Schuldner*innenberatung (die dann ggf. entsprechend finanziell „aufzurüsten“ wäre).
Optional sollte Schuldner*innen ein begründeter Antrag von dieser Grundregel abzuweichen, ermöglicht werden.
Weiterhin sind endlich die RSB-Versagungsgründe des eröffneten Verfahrens und der Wohlverhaltensphase zu harmonisieren.20

VII. „Gerichtsloses“ Verfahren

1. Die derzeitigen in den Fachzeitschriften kursierenden Vorschläge für eine „Reform“ des Entschuldungsverfahrens sind vielfältig. Sie reichen von (unklaren) Vorstellungen der „Entbürokratisierung“,21 über die Idee, die Schuldner sollten verwalterlos einfach drei Jahre Raten zahlen,22 über Skepsis gegenüber einem verwalterlosen Verfahren und Unsicherheit, ob eine „Generalrevision“ notwendig sei,23 bis zur grundsätzlichen Kritik an der gesetzlich unzureichend definierten – und in der Praxis z. B. durch Aufrechnungen und Wiederaufleben von Sicherungsrechten durchbrochenen“ – Reichweite von § 301 InsO.24
Berechtigt ist u. E. nur Letzteres.
2. Die Problematik der Aufrechnung mit Insolvenzforderungen, insbesondere im Sozialzahlungsbereich nach §§ 51, 52 SGB I,25 muss, genauso wie die „Verstrickungsproblematik“, dringend gesetzlich geregelt werden.
3. Zu vermissen ist auch eine Regelung, die eine volle Entschuldung auch betreffend der im Verfahren entstehenden Masseschulden sicherstellt. Veranlassung besteht dazu in Folge der BFH-Entscheidung vom 28. 11. 2017,26 die eine Nachhaftung des Schuldners für Masse-Steuerschulden erlaubt.27
Dies könnte gem. Art. 23 Abs. 4 lit. e der EU-RL richtlinienkonform sein, konkordiert jedoch weder mit der Anforderung nach einem „allgemeinen Interesse“, wenn solche Nachhaftung erlaubt werden, noch mit dem Ziel der RL auf einen „Neubeginn“ ohne Schulden28 bzw. vollständiger Entschuldung.29
4. Die Wahrung der Gläubigerrechte und die Kontrolle über Restschuldbefreiung gegenüber nur der/dem „redlichen“ Schuldner*in werden „gerichtslose“ Verfahren nicht ermöglichen. Allein die gerichtlichen Entscheidungen zum Umfang der Masse (§ 36 Abs. 4 InsO) und zur Reichweite des Pfändungsschutzes werden alle Verfahrensbeteiligte kaum missen wollen, zudem gilt Art. 92 GG.
5. Sinnvoll wäre stattdessen ein Einbezug der länderseitigen Stundungskosten in eine Evaluation, um darauf basierend prüfen zu können, ob eine Restschuldbefreiungserteilung für im Durchschnitt knapp 100.000 Personen bei der nach wie vor sehr hohen Überschuldungsquote30 in Deutschland überhaupt verhältnismäßig ist oder das gesamte Verfahren nicht so umgestaltet werden müsste, dass es einen weit größeren Bevölkerungsanteil erfasst.
8. 5. 2024
1
1)
Zur mangelnden Ankoppelung verfahrenswichtiger Fragen im InsStatG bereits BAKinso-Stellungnahme v. 10. 7. 2020, NZI 16-17/2020, XI.
2
2)
Lissner, ZInsO 2020, 1729, 1742.
3
3)
AG Hamburg v. 15. 2. 2022, ZVI 2022, 322.
4
4)
LG Hamburg v. 4. 8. 2023, ZVI 2023, 410 = ZInsO 2023, 1957; dazu Frind, InsbürO 2023, 444 m. w. N.
5
5)
Teilweise wird darauf hingewiesen, dass die meisten „Vorwirkungsentscheidungen“ des BGH sich mit Stundungsnichtgewährung und nicht mit Stundungsaufhebung befassen, Hackenberg, NZI 2022, 545, 550, Fußn. 42.
6
6)
Destatis-Mitteilung v. 10. 3. 2011, NZI Heft 6/2011, VIII.
7
7)
Vortragsfolien Dr. P. Laroche zum DIT 2024.
8
8)
Föhlisch, ZVI 2022, 135, 138.
9
9)
Thüning, ZVI 2017, 377, 382; Heyer, ZVI 2015, 357, 359; Frind, ZInsO 2015, 542 m. w. N.; AG Hamburg v. 4. 8. 2015, ZVI 2015, 397 = ZInsO 2015, 2045; BGH v. 13. 2. 2020, ZVI 2020, 135 = ZInsO 2020, 655, Rz. 15, 16.
10
10)
BGH v. 4. 5. 2017, ZVI 2017, 299 (m. Bespr. Möhring, S. 289 und m. Bespr. Thüning, S. 377) = ZInsO 2017, 1444.
11
11)
Reck, ZVI 2022, 171, 175; PM v. Destatis Nr. 151 v. 16. 4. 2019. Bei 6.562 Insolvenzverfahren natürlicher Personen (4,6 % der Fälle) wurde die Restschuldbefreiung versagt. Der häufigste Grund war die nicht gezahlte Mindestvergütung des Treuhänders (5.140 Fälle = 78 %). Weitere wichtige Versagungsgründe sind die Verletzung der Mitwirkungspflicht des Schuldners (2010: 738) und der Verstoß des Schuldners gegen Obliegenheiten (2010: 566). Kritisch hierzu Reck, ZVI 2021, 455.
12
12)
So auch Reck, ZVI 2016, 173, 174.
13
13)
Pape, ZVI 2014, 234, 237; Pape, ZInsO 2017, 565, 567, 569; so auch Strüder, VIA 2014, 73, 74; Heicke, NZI 2014, 417, 418; Busching/Klersy, ZInsO 2015, 1601; AG Göttingen v. 13. 3. 2017, ZVI 2017, 389 = ZInsO 2017, 885.
14
14)
Gemeinsame Erklärung der Verbände für Stärkung der Verbraucherinsolvenz v. 6. 4. 2011, InsbürO 2011, 162. Sonach hatte sich ein „Runder Tisch Verbraucherinsolvenz“ am 6. 4. 2011 gebildet und eine „Stephan-Kommission“. Letztere hat sodann Vorschläge für ein gestärktes außergerichtliches Verfahren unterbreitet (NZI 18/2011, VII; Wedekind, VuR 2011, 241). Diese Kommission legte im Jahre 2017 den Vorschlag zur Standardisierung des außergerichtlichen Einigungsversuches vor (INDat Report 2/2017, 6). Hofmeister/Schilz, ZVI 2012, 134: zwischen 6 % und 30 % der außergerichtlichen Versuche sind – je nach Bundesland – erfolgreich; Schilz, INDat Report 2/2017 berichtet für den Bereich München von einer Erfolgsquote von 28 % der außergerichtlich versuchten Einigungen. Siehe aber zur Marginalisierung durch RSB-Erteilungszeitverkürzung Jäger, ZVI 2021, 129.
15
15)
Schmerbach, InsbürO 2022, 333.
16
16)
Die AG des DAV spricht von 768 durchgeführten Verfahren (ohne Erfolgsbewertung zum Zustandekommen eines Schuldenbereinigungsplans) im Jahre 2021, ZInsO 2023, 1748.
17
17)
Ob auch das Insolvenzgericht die Schuldner*innen auffordern können sollte, einen gerichtlichen Schuldenbereinigungsplans vorzulegen, bedarf weiterer Diskussion, die auf der BAKinso-Jahrestagung 2024 erfolgen soll.
18
18)
AG des DAV, ZInsO 2023, 1748, 1752.
19
19)
So aber AG des DAV, ZInsO 2023, 1748, 1753: „Wird aber unter den vorstehenden Voraussetzungen von einem Forderungsanmeldungs- und -prüfungsverfahren abgesehen, erscheint es vertretbar, auf diese Forderungsklärung im laufenden Verfahren zu verzichten, wenn ein Gläubiger nicht bereits eine entsprechende Feststellung in einem kontradiktorischen Verfahren betreibt bzw. erwirkt hat. Die ggf. entstehenden Unsicherheiten über die Reichweite der erteilten Restschuldbefreiung erscheinen im Verhältnis zur Aufwandsersparnis durch den Verzicht auf die Forderungsanmeldung und -prüfung in masselosen Verfahren vertretbar. Die nach § 302 InsO ausgenommenen Forderungen machen in der Praxis nur einen untergeordneten Teil der Insolvenzforderungen aus. Das Insolvenzverfahren ist auch kein Selbstzweck zur Titulierung von Forderungen, wenn für deren Durchsetzung keine Haftungsmasse zur Verfügung steht. (…)“
20
20)
BAKinso-Entschließung v. 5. 11. 2012, NZI 22/2012, XI, XII; Schmerbach, ZVI 2012, 155; Schmerbach, NZI 2012, 689; Frind, ZInsO 2012, 668; Grote/Pape, ZInsO 2012, 1913.
21
21)
Madaus, JZ 2016, 548; Paulus, ZIP 2016, 1657.
22
22)
Madaus, NZI 2024, 7, 13.
23
23)
Ahrens, NZI 2024, 14, 20.
24
24)
Keller, NZI 2024, 21, 26.
25
25)
26
26)
ZVI 2018, 227 = ZInsO 2019, 106.
27
27)
S. so auch FG Düsseldorf v. 25. 3. 2020, ZInsO 2020, 1134; FG Düsseldorf v. 6. 5. 2020, ZInsO 2020, 1498; FG Düsseldorf v. 13. 7. 2022, ZVI 2022, 424 = ZRI 2022, 700 = ZInsO 2022, 1864; LSG Sachsen-Anhalt v. 13. 9. 2023, NZI 2024, 375.
28
28)
Sämisch/Haug, ZInsO 2020, 580; L.M. Schmidt, ZVI 2020, 121, 127.
29
29)
Art. 21 Abs. 1 RestRL, Sämisch, NZI 2022, 796.
30
30)
Lt. Destatis 2023 5,65 Mio. Personen, Überschuldungsquote 8,15 %.

Verlagsadresse

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Aachener Straße 222

50931 Köln

Postanschrift

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Postfach 27 01 25

50508 Köln

Kontakt

T (0221) 400 88-99

F (0221) 400 88-77

info@rws-verlag.de

© 2024 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Erweiterte Suche

Seminare

Rubriken

Veranstaltungsarten

Zeitraum

Bücher

Rechtsgebiete

Reihen



Zeitschriften

Aktuell