ZVI 2024, 237

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher-, Privat- und Nachlassinsolvenz ZVI 2024 EditorialThomas Reck

Was Schuldner über Privatinsolvenz (nicht) wissen müssen

Privatinsolvenz ist für die breite Masse thematisch unsexy, gilt sie doch als Manifestation des beruflichen, finanziellen und privaten Scheiterns. Ausgenommen sind C- bis Z-Prominente, die über meinungsbildende Druckschriften des Genres Friseur- und Wartezimmerlektüre ihr Schicksal kundtun. In der Regel wird dies mit der Aussicht auf Besserung durch Teilnahme an einer serienmäßigen Fernsehdarbietung im In- oder Ausland verbunden, bei der an irgendeinem Ort irgendwelche Aufgaben zu erfüllen sind, die durch das Publikum bewertet werden. Das bringt nicht nur dem Sender Quote, sondern dank frühzeitig durchgestochenen Honorars auch den Gläubigern.
Der Durchschnittsschuldner ohne Zugang zu diesen Wegen aus der Krise schaut insoweit in die Röhre, nicht nur in Bezug auf das Fernsehen, sondern auch finanziell.
Hoffnung schöpfen konnten Betroffene allerdings unlängst aus der Ankündigung des nach Eigenwerbung größten deutschen Wirtschaftsmagazins, alles mitzuteilen, was Schuldner über die Privatinsolvenz wissen müssen (https://www.capital.de/geld-versicherungen/privatinsolvenz–das-muessen-schuldner-wissen-34692670.html).
Manches davon wäre besser nicht geschrieben worden. Die Autorin zimmert ein Bild der Insolvenz, das stärker an dem läuterungsähnlichen Szenario aus der Anfangsphase der InsO angelehnt ist als an der Realität einer Massenentschuldung überwiegend einkommens- und vermögensloser Schuldner. Hilfestellung leistet ein wiederholt zitierter Insolvenzverwalter aus einer Sozietät, auf deren Homepage Privatinsolvenz nicht in dem Umfang als Betätigungsfeld repräsentiert ist, den die hingebungsvollen Zitate in dem Artikel vermuten lassen.
Als Beispiel für die besonderen Schwierigkeiten des Insolvenzverfahrens wird unter anderem darauf hingewiesen, dass der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung zwei verschiedene Anträge darstellen. Natürlich ist das alles formal zutreffend, aber wer glaubt denn ernsthaft daran, dass ein Schuldner – abgesehen von irgendwelchen mehr oder minder aus dem Rahmen fallenden Sonderfällen wie Insolvenz über eine freigegebene selbstständige Tätigkeit – nur die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt, aber nicht die Erteilung der Restschuldbefreiung?
Der Zeitschriftenbeitrag legt den Beginn der Wohlverhaltensperiode auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und kündigt strikte Auflagen für den Schuldner an. Danach darf oder soll man sich anscheinend darüber freuen, wenn der Insolvenzverwalter nicht gleich die Wohnung ausräumt. Die „strikten Auflagen“ laufen natürlich ins Leere, wenn es nichts zu vereinnahmen gibt.
Wenn dann weiter etwa suggeriert wird, dass ein Schuldner ohne Unterhaltspflichten alle 1.409,99 € übersteigenden Einkünfte als pfändbar abführen muss, fällt die Entscheidung schwer, ob das jetzt falsch, peinlich oder beides ist. Zusätzlich schnellt in dem Artikel noch der pädagogische Zeigefinger nach oben mit dem Hinweis, dass man von den 1.409,99 € alles, aber auch wirklich alles, in Bezug auf den Lebensunterhalt bezahlen muss. Ups. Ein Blick in die ZVI 2024, 238bei Veröffentlichung des Artikels im Mai 2024 gültige Tabelle zu § 850c ZPO hätte gezeigt, dass das nicht einmal für Schuldner ohne Unterhaltspflicht zutrifft.
Insofern keine Überraschung: Das Thema Verfahrenskostenstundung, ohne die es den größten Teil der Insolvenzverfahren natürlicher Personen überhaupt nicht gäbe, taucht nicht auf, sondern unter. Es wird schlicht nicht erwähnt. Dazu lässt sich nur sagen: schlecht recherchiert. Die Autorin versteigt sich sogar zu der Aussage, der Schuldner müsse die Gerichtskosten „aus eigener Tasche stemmen, ebenso wie die Kosten für den Insolvenzverwalter“. Der kundige Leser schwankt zwischen einer Mischung aus Kopfschütteln und Fremdschämen.
Wer das liest, braucht sich nicht zu wundern, dass in Schuldnerforen Mythen kursieren wie etwa die häufig zu lesende „Empfehlung“, man müsse sich mit dem Insolvenzverwalter gut stellen, damit er nicht er dafür sorgt, dass einem die Restschuldbefreiung versagt wird. Das ist ebenso absurd wie die Warnung, keine neuen Schulden zu machen.
InsO 1.0 war für den Schuldner kein Zuckerschlecken, zumal bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung in vor dem 1. 12. 2001 eröffneten Verfahren bis zu 12 Jahre vergehen konnten (BGH ZVI 2013, 450). Zwischenzeitlich ist die InsO 25 Jahre alt, bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung dauert es nur noch drei Jahre. Vor diesem Hintergrund braucht man sich keine Gedanken mehr über erzieherische oder gar läuternde Effekte des Insolvenzverfahrens zu machen, auch wenn das in den Anfängen der InsO durchaus anders gesehen wurde.
Die als Schreckensszenario gehypte Versagung der Restschuldbefreiung hat statistisch nur eine ausgesprochen geringe Bedeutung (Reck, ZVI 2022, 167; eine aktualisierte Auswertung erscheint demnächst in der ZVI). Warum sollte man sich aus Gläubigersicht auch Gedanken darum machen, eine Vollstreckungsmöglichkeit für alle Gläubiger zu eröffnen?
Tatsächlich muss man sich als Schuldner wohl ehesten damit befassen, während der Wohlverhaltensperiode nicht in den Strudel des § 298 InsO gezogen zu werden. Die Regelung hat nur dem Namen nach mit Restschuldbefreiung zu tun und ist inhaltlich an sich schon seit langem durch die Einführung der Stundung überholt. Dennoch handelt es sich dabei um den mit einem massiven Abstand häufigsten Versagungsgrund.
Welchen Sinn hat es aber, einem Schuldner, der über kein Einkommen verfügt, die Stundung aufzuheben und anschließend die Restschuldbefreiung nach § 298 InsO zu versagen, weil er keinen Nachweis darüber vorgelegt hat, dass er kein Einkommen hat? Das ist nicht nur wirtschaftlich sinnlos, sondern bringt auch keinem Gläubiger etwas. Das müssen Schuldner über Privatinsolvenz wissen.
Regierungsrat Thomas Reck, Bremen

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